Baudenkmäler in Gefahr: Der Kasten ein bedrohter Gebäudetyp

Sie sind selten geworden, die noch unseren Großeltern als "Kasten" oder "Bäula" bekannten kleinen, in der Regel zweigeschossigen Häuschen, die einst bei vielen Bauernhöfen im Kulmbacher Umland zu finden waren. Dabei bezeichneten unsere Vorfahren als "Kasten" meist ein zur Lagerung von Getreidekörnern errichtetes Bauwerk; die Vorläufer unserer heutigen Finanzämter wurden als "Kastenamt" bezeichnet, weil sie hauptsächlich die früher häufigen Naturalabgaben zu verwalten hatten. Im Erdgeschoss der bäuerlichen "Kästen" war oft ein kleiner Stall, meist für Klein- oder Federvieh, manchmal auch eine Werkstatt untergebracht. Das Obergeschoss fand häufig Nutzung als Austragswohnung für den Altbauern und dessen Ehefrau, beziehungsweise Witwe. Unter dem Dach befanden sich schließlich die namengebenden Getreideschüttböden.
In der modernen Landwirtschaft sind diese kleinräumigen Nebengebäude nutzlos und überflüssig geworden und gehören damit, ebenso wie viele alte Schupfen und Scheunen, zu einer aussterbenden Art. Jedoch sind es gerade diese hölzernen oder aus Fachwerk errichteten Nebengebäude gewesen, die sich zusammen mit dem Wohnhaus um den Hofraum des Anwesens scharten, und über Jahrhunderte dem Bauernhof sein landschaftstypisches Gepräge gaben. Schon zu Zeiten Hans Edelmanns, der sich in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg eingehend mit dem Phänomen das "Kastens" oder "Bäulas" beschäftigte, war diese Entwicklung abzusehen. Denn schon in den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts – die meisten Flüchtlingsfamilien hatten inzwischen eine angemessenere Bleibe gefunden – waren viele dieser Nebengebäude bereits leerstehend und ziemlich baufällig geworden.

 

Beispiele in Niederndobrach und in Kulmbach

Ein besonders altes – 1698 entstandenes – Bauwerk dieser Art, das sich damals im Hof des Bauern Heller in Niederndobrach befand, wurde 1951 von Hans Edelmann ausführlich beschrieben und auch in einer Zeichnung festgehalten.1) Heute sucht man nach diesem größtenteils in Blockbauweise gezimmerten "Kasten" vergeblich. Gleich am Ortseingang von Niederndobrach begrüßt jedoch ein im Erdgeschoss aus Sandsteinquadern gemauerter Kasten, mit einem aus Fachwerk aufgesetzten Obergeschoss, den Besucher. Das breite Türgewände aus Sandstein ist mit den Initialen J. F. und der Jahreszahl 1811 bezeichnet. In der Denkmalliste ist dieses heute ungenutzte und schon recht baufällige Gebäude allerdings nicht zu finden. Gleiches gilt für ein ähnliches Bauwerk in Kulmbach, auf das Hans Edelmann 1970 von der damaligen Besitzerin, Frau Annemarie Baier, hingewiesen wurde.2) Dieses von Frau Baier als "Beila" bezeichnete Gebäude steht noch heute am Südhang des Festungsberges und gehört zum Anwesen Spiegel 31. Das aus Bruchsteinen errichtete Häuschen steht direkt am Berghang. Die ehemalige Funktion des fensterlosen, jedoch durch zwei Türen begehbaren aber heute ungeteilten Innenraums ist unbekannt. Darüber befindet sich ein mit Brettern verschaltes Dachgeschoss, dessen talseitige Traufe in der Art eines Frackdaches tiefer hinuntergezogen ist, als die an der Bergseite. Unter dem Ziegeldach befinden sich zwei Böden, die inzwischen jedoch ziemlich baufällig sind. An der östlichen Giebelseite ist das Dachgeschoss etwa anderthalb Meter über das gemauerte Untergeschoss hinausgezogen. Im Bereich der Tür ist das Gemäuer, laut Edelmann, mit der Jahreszahl 1710 bezeichnet. Das Anwesen Spiegel 31 war kein stadtlehenbares Bürgergut sondern gehörte als sogenanntes "Weinberggütlein" zu den kastenlehenbaren - also vom landesherrlichen Finanzamt zu verleihenden - Häusern in der Stadt Kulmbach.3)

Der 1951 von Hans Edelmann gezeichnete Kasten des Bauern Heller in Niederndobrach ist heute längst verschwunden
Der Kasten am Ortseingang von Niederndobrach stammt von 1811
Der Kasten am Ortseingang von Niederndobrach vor dem Abbruch der Hofgebäude (Foto: Günter Hain, Kulmbach)
Der Kasten an der Südseite des Kulmbacher Festungsberges von der Tal- und von der Bergseite aus gesehen

Der Kasten in Höfstätten

Exemplarisch sei hier nun der in der Denkmalliste als "Wohnstallhaus" klassifizierte "Kasten" in Höfstätten herausgegriffen, der insbesondere dadurch interessant ist, weil er den letzten Rest eines im frühen 20. Jahrhunderts abgebrochenen Bauernhofes darstellt.
Dieser Hof, das "Frohngut" Haus-Nr. 6 in Höfstätten, wurde ebenfalls vom Kulmbacher Kastenamt zu Lehen vergeben. Nach der Partikulargüterbeschreibung des Amtes Kulmbach, die um 1790 entstanden ist, bestand das Anwesen damals aus Haus, Stadel und Stallung – von unserem "Kasten" ist damals noch nicht die Rede – sowie ½ Tagwerk Garten, 8 Tagwerk Wiesen und 7 ½ Tagwerk Feld "in 4 Orten". Belastet war das Frongut mit 37 ½ Kreuzern Lichtmeßsteuer, 1 Kreuzer "Aufwechßel", 20 Kreuzer für zwei Küchenhühner und 10 Kreuzer für eine Faßnachthenne, die seit 1780 nicht mehr in natura abgeliefert, sondern durch eine Geldzahlung abgelöst wurden, 1 Gulden und 45 Kreuzer Walburgis- sowie 1 Gulden und 26 ? Kreuzer Michaelis-Zins und 1 Kreuzer Schreibgebühren. Die Reichung von je einem halben Maß "Herrenschmalz" pro Kuh war ebenfalls gegen einen Betrag von 5 Kreuzern jährlich abgelöst worden. Der Besitzer des Frongutes war ferner zur Fronleistung mit 1 Pferd innerhalb und außerhalb des Landes verpflichtet. Die Heufron war seit 1780 nicht mehr gefordert worden. Der "lebendige Zehnt" von Lämmern, Gänsen und Hühnern, musste an das Kulmbacher Kastenamt abgeliefert werden; der Getreidezehnt stand dem Pfarrer in Kupferberg (!) zu. Gegen Bezahlung von 15 Kreuzern Anweisgeld erhielt der Besitzer des Hofes 1 Klafter weiches Brennholz und ½ Schock Reisig von der Wildmeisterei Ziegelhütten.
Über die Besitzer des Anwesens erfahren wir aus dem Partikular folgendes: 1695 war das Frongut in den Händen des Bauern Hans Sandler. Nach dessen Tod erbte es 1701 die Witwe Margaretha Sandler. Diese verheiratete sich 1705 mit Andreas Hermann, der das Gut 1724 seinem Stiefsohn Hans Sandler übergab. Schon 1730 findet es sich in den Händen von dessen Witwe Catharina und deren drei unmündigen Kindern, bis es 1750 vom Sohn Johann Michael Sandler übernommen wurde. Seit 1793 war das Frongut dann im Besitz von "filius" (= Sohn) Andreas Sandler.4)

Vom Anwesen Höfstätten 6 kündet nur noch der Kasten und ein Stadel
Die Hofseite des Kastens in Höfstätten
 

Ein Schafstall mit Graskammer und überbauter Kammer

Dessen Sohn, der Bauer Johann Sandler, der das Anwesen 1812 vom Vater übernommen hatte, ist nun der Bauherr unseres "Kastens". Seine Initialen J. S. und die Jahreszahl 1821 stehen bis heute am Türgewände des Erdgeschosses. Noch 1853, bei der Aufnahme des Grundsteuerkatasters, war er der Eigentümer des Gutes. Auf Plan-Nr. 608 standen damals das Wohnhaus mit Keller und Stallung, ein Stadel mit Wagenschupfe, eine Holzschlicht mit Bienenhaus, sowie unser "Kasten", der im Kataster allerdings als "Schafstall mit Graskammer und überbauter Kammer" bezeichnet wird. Die zum Gut gehörigen landwirtschaftlichen Flächen hatten sich – inklusive des "walzenden Besitzes" – inzwischen auf stattliche 54 Tagwerk und 19 Dezimalen vermehrt.i
1862 übernahm mit Johann Lorenz Sandler die nächste Generation die Bewirtschaftung des Anwesens. Als dieser 1889 starb, fiel es an eine Erbengemeinschaft von 10 Verwandten, die es noch im selben Jahr für 13.877 Mark an den Miterben Adam Eichhorn verkauften. Dieser zerschlug das Anwesen, so dass letztendlich für das Anwesen Höfstätten 6 noch 11,61 Tagwerk Grund und Boden übrig blieben. Diesen Restbesitz kaufte am 1. November 1889 für 6.300 Mark der Nachbar Andreas Schneider zu seinem Anwesen Haus-Nr. 3 in Höfstätten. Dessen Sohn Adam Schneider, der seit 1902 im Besitz beider Güter war, ließ im Frühjahr 1905 das Wohnhaus Haus-Nr. 6 abbrechen. Die verbliebenen Gebäude und Grundstücke wurden 1933 mit dem Anwesen Haus-Nr. 3 in Höfstätten vereinigt.ii
Als Hans Edelmann 1951 den Kasten in Höfstätten besuchte, war dieser von Flüchtlingen bewohnt. Er schreibt: In Höfstätten "stand ein auffallend großer Kasten lange Zeit leer. Er war mit einer Scheune von einem Gehöft übriggeblieben, das nach dem Tod seiner Besitzer aufgeteilt worden war. Das Wohnhaus hatte man abgebrochen. Der 1821 errichtete Kasten besteht aus einem Sandstein-Erdgeschoß und einem in kräftigem Fachwerk ausgeführten Oberstock. Erst jetzt nach dem Krieg hat das Haus wieder eine Verwendung gefunden. Unten ist ein Pferdestall und oben hat man eine Wohnung für eine Flüchtlingsfamilie eingerichtet. So ist der alte Kasten wieder zu Ehren gekommen, was besonders erfreulich ist und nachgeahmt zu werden verdiente. Man könnte dadurch der Wohnungsnot und gleichzeitig dem Mangel an landwirtschaftlichen Hilfskräften vielleicht ein wenig abhelfen. Wenn auch die Bauern, die sich aufs Altenteil zurückziehen, nicht mehr im Kasten wohnen, sondern in einer der oberen Stuben des neuen Wohnhauses, so bleibt der Kasten dennoch nicht ungenutzt. Meist sind außer Kleintierställen noch Werkstätten, Geschirrkammern und ähnliches darin."iii
Heute ist der "Kasten" in Höfstätten wieder seit langem unbewohnt. Auch wenn die Nachbarn ein wachsames Auge auf neugierige und fotografierwütige Fremde haben, so ändert dies doch nichts an der zunehmenden Baufälligkeit des Gebäudes. Schön hergerichtet wäre der Höfstättener Kasten sicherlich eine große Bereicherung für das Ortsbild.

Harald Stark

 
Das Türblatt des Kastens in Höfstätten dürfte gleichzeitig mit dem Türgewände entstanden sein. Dieses ist mit der Jahreszahl 1821 und den Initialen J. S. bezeichnet.
Die Gefache des Fachwerks im Obergeschoss sind mit Astgeflecht ausgefüllt und mit Lehm beworfen.